Eberhard Hesse, der langjährige Landesgeschäftsführer der Berliner SPD und Kreisvorsitzende von Neukölln, gehört zu einer Generation, deren „Links-Sein“ in die Zeit der zahlreichen Brüche des 20. Jahrhunderts fällt. Unter diesen Umständen – zumal in Berlin: Arbeiterhochburg, Reichshauptstadt, Frontstadt – musste ein Linker Lebenslauf wie jener von Hesse durch politische und persönliche Diskontinuitäten geprägt sein. Doch bei seinem langen Weg von einem linken Aktivisten der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) hin zu einem eher konservativen Vertreter des sozialdemokratischen Berliner Establishments gab es doch einen unverrückbaren Fixpunkt, der für Eberhard Hesse im Zentrum eines spezifisch linken Weltbilds stand: der Kampf gegen totalitäre Weltanschauungen.
Carola Hesse-Andres, Tochter von Eberhard Hesse, und Brunhilde Hesse, Ehefrau
Eberhard Hesse wurde am 28. Juni 1911 in Rixdorf, dem späteren Berlin-Neukölln, als Sohn eines Volksschulrektors geboren. Nicht zuletzt eine politische Sozialisation in der von Fritz Karsen geleiteten späteren Karl-Marx-Schule, der „sozialistischen Kaderschmiede“, führte ihn im Jahr 1930 in die SPD und die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ). Dies geschah nach eigenen Angaben nicht zuletzt „unter dem Eindruck der drohenden Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.“ In dieser Situation wurde Eberhard Hesse von der Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ angeworben. Trotz „Schutzhaft“ ab 1936 und fünfzehn Monate Haft in Tegel nahm er nach seiner Freilassung wieder Kontakt zu seinen Freunden im Widerstand auf. 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und baute unter Lebensgefahr eine Widerstandsgruppe auf, die er sogar noch in sowjetischer Kriegsgefangenschaft fortführte.
Nach seiner Rückkehr nach Berlin im Jahr 1947 wurde Hesse mit den Machtansprüchen der SED und der sowjetischen Besatzungsmacht konfrontiert. Dieser zweiten totalitären Herausforderung, so viel stand für Hesse und viele seiner alten Freunde von „Neu Beginnen“ fest, musste in Berlin widerstanden werden.
Brunhilde Hesse, Ehefrau von Eberhard Hesse
Nils Diederich, 1946-1961 Mitglied der Falken in Zehlendorf
Als Demokrat und Sozialist sah Eberhard Hesse seine Hauptaufgabe darin, die ostdeutschen Machthaber aufs Schärfste zu bekämpfen. Aber auch die innerparteiliche Linke bekämpfte er politisch und publizistisch. Dabei schoss er nicht selten über das Ziel hinaus, etwa wenn er die Parteiausschlüsse prominenter Sozialdemokraten wie Willy Huhn, Max Köhler oder Willy Kressmann maßgeblich forcierte.
Siegfried Heimann, Vorsitzender der Historischen Kommission beim Landesvorstand der SPD Berlin
Hesse hatte in den sechziger Jahren auch schwere Kämpfe mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der eigenen Parteijugend auszufechten, für die er in Berlin ein beliebtes Feindbild war. Hier prallten zwei vollkommen unterschiedlich sozialisierte linke Generationen aufeinander, die keine gemeinsame Sprache mehr fanden, und das war keineswegs nur ein Problem der älteren Generation. So wurde er im Jahr 1968 von einem Neuköllner Falken als „Arbeiterverräter“ beschimpft – als er kaum älter war als dieser junge Genosse, war er für seine Treue zur Arbeiterbewegung schon von den Nazis verschleppt und weggeschlossen worden.
Innerparteilich gerieten er und seine engeren Parteifreunde schon in den sechziger Jahren immer mehr ins Abseits. Die Berliner Politik wurde vom Regierenden Bürgermeister Willy Brandt und seinen Beratern bestimmt. Der Rat von Kurt Mattick als Landesvorsitzender und Hesse als Landesgeschäftsführer der Berliner SPD war kaum noch gefragt.
Zu Beginn der siebziger Jahre musste sich Eberhard Hesse aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückziehen, sein Politikverständnis entsprach aber wohl schon einige Jahre lang nicht mehr ganz dem Zeitgeschmack. Trotz allem blieb er in seinem Verständnis Zeit seines Lebens ein „Linker“, wenn auch nicht unumstritten, für den Demokratie die Voraussetzung für den Sozialismus war, nicht umgekehrt. Soweit es ihm seine Gesundheit erlaubte, nahm er auch in den siebziger und achtziger Jahren noch aktiv am Parteileben teil und korrespondierte mit politischen und persönlichen Freunden in Deutschland und England über kleine und große Fragen der Politik. Am 28. März 1986 verstarb Eberhard Hesse nach langer Krankheit in Berlin.
1. ca. 1934 aus dem Privatbesitz von Brunhilde Hesse
2. Hesse besucht mit einer Gruppe Berliner Sozialdemokraten das französische Hauptquartier der Alliierten 1962 (Shape Photo, ABI-Archiv)
3. Kurt Mattick (li.) und Eberhard Hesse (m.) gratulieren Otto Bach (re.) zum 66. Geburtstag 1965 (ABI-Archiv)
4. Portrait 1971 (ABI-Archiv)