Die Berliner Sozialdemokratie wurde in den 1950er und 1960er Jahren von heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen erschüttert, die vor allem mit den Namen Ernst Reuter und Willy Brandt auf der einen, Franz Neumann auf der anderen Seite verbunden sind. Die Konflikte blieben allerdings nicht auf den inneren Führungszirkel der Partei beschränkt, sondern zogen sich bis auf die unterste Ebene herunter und mündeten in schwerwiegenden Flügelkämpfen.
Als reiner Links-rechts-Gegensatz in der SPD lassen sich diese Konflikte nicht, oder doch nicht nur interpretieren, auch wenn sich die Protagonisten ganz selbstverständlich als „Linke“ oder „Rechte“ bezeichneten. Viele Konfliktlinien überschnitten sich hier, nur so lässt sich wohl auch die bisweilen unerbittliche Härte der Auseinandersetzungen verstehen.
Die Anhängerschaft von Franz Neumann bestand vor allem aus älteren Genoss/innen, die ihre politische Sozialisierung während der Weimarer Republik erfahren hatten, sowie einigen jüngeren, die erst nach Kriegsende zur Sozialdemokratie gestoßen waren. Politisch wollte man soziale Errungenschaften in Berlin bewahren und vertrat traditionelle sozialistische Politik- und Wertvorstellungen, für die man notfalls auch in die Opposition gehen würde.
Ernst Reuter und Willy Brandt hingegen erfuhren Unterstützung von Sozialdemokrat/innen, die vor allem durch die bitteren Auseinandersetzungen zwischen SPD und KPD seit den späten 1920er Jahren und die Zerschlagung der Arbeiterbewegung 1933 geprägt waren. Viele hatten daraus die Lehre gezogen, dass soziale und demokratische Errungenschaften nur durch eine Modernisierung der SPD zur Volkspartei zu verteidigen waren. Man hat diese Reformer zu Recht als „Generation Godesberg“ bezeichnet.
Und neben diesen politischen Differenzen spielten sicher auch persönliche Animositäten eine wichtige Rolle. Sowohl Reuter und Brandt als auch Neumann und viele ihrer namhaften Unterstützer waren ja in vieler Hinsicht auch durchsetzungsstarke Machtmenschen, und für zu viele von ihnen war auf der „Insel“ Berlin kein Platz. Zwischen dem volkstümlichen und wohl auch etwas knorrigen Funktionärstyp und Widerstandskämpfer Franz Neumann und vor allem Willy Brandt, dem weltläufigen Exilanten „wuchs kein vertrauensvolles Verhältnis“ (Willy Brandt), sondern eine Rivalität, die einem von beiden den politischen Kopf kosten musste. Und die Mitglieder und Funktionäre mussten sich schließlich zwischen diesen beiden Identifikationsfiguren entscheiden, sich politisch einsortieren und ihre eigenen politischen Ziele und Hoffnungen in diese hineinprojizieren – daher wurde der Konflikt von den Beteiligten wohl vor allem als Links-rechts-Gegensatz wahrgenommen.
Seine Popularität, sein politisches Talent und letztlich auch die Zeit spielten für Willy Brandt. Nach einer klaren und einer knappen Wahlniederlage gegen Franz Neumann um den Parteivorsitz 1952 und 1954 war er von Neumann 1957 als Regierender in der Nachfolge Otto Suhrs nicht mehr zu verhindern, im Januar 1958 wurde der jahrelange Machtkampf durch die Wahl Willy Brandts zum Berliner Parteivorsitzenden beendet.