Betrachten wir die Migrationspolitik in Berlin, kann sich dieser aus drei verschiedenen Perspektiven genähert werden: im historischen, im parteilichen und im gesellschaftlichen Kontext.
Da das Thema im Deutschland der Nachkriegszeit zu Beginn der Arbeitsmigration für alle ein neues Phänomen darstellte, war es ein langer Weg bis zum Integrationsgedanken, der heutzutage weitestgehend verbreitet ist. Noch bis in die 1980er Jahre ging man in der Politik von vielen Seiten her davon aus, die zugereisten Arbeiter/innen würden nach einigen Jahren in ihre Heimat zurückgehen. Das hatte eine starke Orientierung am Ausländerrecht zur Folge, welches vor allem ordnungsrechtliche Maßnahmen vorsah. Das prägte beispielsweise die Politik des Berliner Innensenators Heinrich Lummer (CDU) in der Großen Koalition der 1980er Jahre, auf dessen Anweisung z.B. im wohnungspolitischen Bereich für Migrant/innen in den Bezirken Wedding, Tiergarten und Kreuzberg eine Zuzugssperre erhoben wurde, was besonders bei den Betroffenen noch heute als „Lummer-Erlass“ bekannt ist. Am Beispiel der Debatte zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Migrant/innen zeigt sich, welches Potenzial für Veränderungen in den 1980er Jahren steckte, das allerdings durch den Mauerfall abrupt auf der To-do-Liste nach unten abrutschte. Erst mit der rot-grünen Regierung auf Bundesebene kam 1998 das Thema Migrationspolitik wieder häufiger zur Sprache.
Ahmet Iyidirli, SPD Friedrichshain-Kreuzberg & Özcan Ayanoglu (Arbeit und Bildung e.V.), politische Mitarbeit in der Alternativen Liste Berlin
Innerhalb dieser Wahlrechts-Debatte, die oft direkt zwischen den betroffenen Migrant/innen und der einheimischen Bevölkerung geführt wurde, ist erkennbar, dass beide Seiten auf unterschiedlichen Ebenen argumentierten. Die Migrant/innen waren bereits in den 1980er Jahren mit ihren Forderungen nach Integrationsmaßnahmen auf einem Stand, mit dem die einheimische Bevölkerung teilweise heute noch ihre Probleme hat. Dazu gehörten etwa die Forderung nach Gleichberechtigung im Wahlrecht, an Schulen, in der Wohnungspolitik oder auf dem Arbeitsmarkt. Diese Diskreptanz führte schon damals in der Politik zu Konflikten.
Nachdem Migrantenvertreter/innen in eigenen Organisationen Standpunkte und Forderungen formuliert hatten, bot sich ihnen in der Wahlrechts-Debatte eine Plattform in den beiden linken Parteien SPD und Alternative Liste (AL), den Grünen West-Berlins. Allerdings gab es zwischen den beiden Parteien entscheidende Unterschiede, weshalb die Alternative Liste für die Migrant/innen lange Zeit attraktiver war.
Özcan Ayanoglu (Städtepartnerschaftsverein Kadiköy - Kreuzberg e.V.), migrationspolitische Mitarbeit in der Alternativen Liste West Berlin
Da die AL eine kleine und thematisch fokussierte, also keine Volkspartei war, musste sie nicht wie die SPD viele Bevölkerungsschichten in ihrem Programm berücksichtigen und konnte somit weitgehendere Forderungen in der Migrationspolitik aufstellen. Zudem war sie in der Opposition. Eine Regierungsbeteiligung, wie sie die SPD innehatte, macht Kompromisse und Konsenz notwendig. Dem war die AL lange Zeit nicht verpflichtet und konnte deshalb in der Opposition mehr fordern. Und schließlich gab es in der AL wesentlich geringere Barrieren, um sich politisch zu engagieren. Strukturen wie etwa die nicht verpflichtende Mitgliedschaft machte es für Migrant/innen schlichtweg einfacher, in dieser Partei Fuß zu fassen, als in der SPD.