Oft spielt für die Entscheidung, in die Politik einzusteigen, besonders die politische Einstellung der Familie eine zentrale Rolle, da diese einen sehr prägenden Einfluss auf die eigene Persönlichkeit hat. Dass allerdings auch noch eine Vielzahl anderer Faktoren von großer Relevanz sein können, zeigt die Biografie von Ahmet İyidirli. Seine Familie war, wie er sagt, für Politik offen. Aber besonders die gesellschaftlichen Kämpfe in seiner Heimat Türkei haben in seinen jungen Jahren einen starken Eindruck bei ihm hinterlassen. Einem jungen Menschen war es kaum möglich, in diesen Auseinandersetzungen nicht Stellung zu beziehen und ein Interesse an dem öffentlichen Geschehen zu entwickeln. Mit diesen Erfahrungen im Gepäck hat er sich Mitte der 1970er Jahre in Richtung Deutschland aufgemacht, um hier ein Studium zu beginnen.
Um in Berlin schneller Fuß zu fassen, schloss er sich einem türkischen Studentenverein an und fand sich alsbald im Vorstand wieder. Eine Funktion, die er allerdings - wie er selbst immer wieder augenzwinkernd betont - „viel zu lange innegehabt“ habe, wie auch alle anderen Ämter als Mitglied verschiedener Vorstände. Selbst Teil der Gesellschaftsgruppe der Migrant/innen, sah İyidirli schnell, welcher Vielzahl an Problemen diese Menschen ausgesetzt waren. Diese waren hauptsächlich in den sozialpolitischen Feldern anzufinden, so etwa schulische Probleme, die Wohnungsproblematik, die Frage nach einem sicheren Aufenthaltsstatus oder der Arbeitsgenehmigung. Dies veranlasste İyidirli, sein politisches Engagement auszuweiten. Er versuchte nicht nur über den türkischen Verein der Sozialdemokraten (HDB – Progressive Volkseinheit der Türkei), Diskussionen und Veränderungen anzustoßen, sondern stieg darüber hinaus in die Parteienlandschaft selbst ein und trat 1980 der SPD bei.
Ahmet Iyidirli, kam 1975 aus der Türkei nach Berlin
Aller Anfang ist schwer, und so war es auch für Ahmet İyidirli zunächst nicht leicht, sich im politischen Alltag zurechtzufinden. Er sah sich als naiver Anfänger konfrontiert mit einer Vielzahl an unausgesprochenen Regeln, Verhaltensweisen und zunächst unbekannten Kniffs und Tricks, um im politischen Geschäft Erfolg haben zu können. Ein einschneidendes und ernüchterndes Erlebnis ließ daher in seiner noch jungen Parteimitgliedschaft nicht lange auf sich warten: 1981 musste er miterleben, wie ein Positionspapier, welches gemeinsam mit anderen Parteimitgliedern im Fachkreis Migration mühsam auf den Weg gebracht worden war, während des darauffolgenden Parteitages durch einen anderen Parteiflügel einfach zurückgewiesen und durch ein neues Positionspapier ersetzt wurde.
Ahmet Iyidirli, 1977 Mitbegründer der HDF (Föderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten in Europa)
Dass sich Ahmet İyidirli von dieser Niederlage nicht einschüchtern ließ und unbeirrt seinen Weg in der Politik weiterging, ist mit seinem Bewusstsein darüber zu erklären, wofür er einsteht und für wen er sich in der Politik besonders einsetzen will. Es sind Migrant/innen, denen er sich als Sozialdemokrat besonders verantwortlich fühlt, da die Sozialdemokrat/innen sich immer schon für die kleinen Leute und somit auch für Zugewanderte eingesetzt hat, um deren Rechte und Möglichkeiten zu verbessern. Dies ist für ihn allerdings auch damit verbunden, die Bedingungen für jene benachteiligte Personengruppen zu verbessern, weshalb sein Motto und sein Verständnis darüber, was Links-sein bedeuten, lautet: „Für mich geht es nicht darum zu verwalten, sondern zu gestalten und zu verändern.“ Dem fühlt er sich auch heute noch verpflichtet und setzt sich weiterhin tatkräftig für eine bessere Zukunft in und für Berlin ein.
Ahmet Iyidirli, langjähriges Mitglied im Kreisvorstand und 2005 Bundestagskandidat der SPD Friedrichshain-Kreuzberg
1. beim Infostand des Türkischen Studentenvereins am 1. Mai 1978 (Privatarchiv İyidirli)
2. HDF-Kongress 1985 (Privatarchiv İyidirli)
3. Am 1. Mai 1985 (Privatarchiv İyidirli)
4. bei einer Ansprache der ersten Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John, undatiert (Paul Glaser, ABI-Archiv)
5. offizielles Foto, undatiert (Metin Yilmaz)